Votivtafel sowie Anliegen- und Danke-Buch als Ausdruck einer Volksspiritualität im kollektiven Gedächtnis

Votivtafeln auf der rechten Seite des Chorraums

 

Votivtafeln erzählen symbolisch vom Glauben der Menschen einer Welt und Zeit. Votivtafeln erzählen von Verzweiflung, Glaube und Hoffnung. Sie sind eine Erscheinungsmarke einer Volkskunst, die auf das christliche Brauchtum und den Glauben verweist. Die eingravierten Inschriften, mit denen die Votivtafeln und -bilder versehen sind, drücken die Hilfsbedürftigkeit und das Gottvertrauen der Menschen aus. Sie geben Zeugnis von ihren inneren geistlichen Bedürfnissen, schließlich von dem, was sie geprägt und bewegt hat. In Demut und Dankbarkeit erkennen die Menschen die Himmelsmacht, die jenem Betenden und Bedürftigen ihre Gnade zuteilwerden ließ. Sie dokumentieren den Glauben eines Volkes, das Krankheiten und Verluste, Kriege und Schlachten, Unglücksfälle und Naturkatastrophen als Schicksale betrachtet. Sie geben im Grunde Aufschluss über das damalige Leben, das religiöse und soziale Umfeld der Gesellschaft von früher.

 

Kunsthistorisch und kulturgeschichtlich gesehen, scheint die Stiftung von Votivtafeln im 15. Jahrhundert seine Anfänge zu nehmen. Als Frömmigkeitsübung zeugt die Votivtafel von einer Spiritualität, d.h. einer menschlichen Disposition, die das vom Christentum verheißene Seelenheil verfolgt. Eine klare Abgrenzung zu ziehen scheint schwierig, dennoch erweist sich die «Votation»  als ein Teil einer rituellen Wallfahrtshandlung. Fragt man nach der Herkunft derartiger Erscheinung in der Ikonographie nach, wird man den engen Zusammenhang der Votivtafeln zur Wallfahrt feststellen können. Die Herkunft der Votivbilder liegt vermutlich in Italien. Es handelt sich bei der Votivtafel bzw. dem Votivbild (von lat. Votum = Gelübde, Gebet, Wunsch) um ein kleinförmiges Bild, gemalt auf Holz, Leinwand, Papier, Blech oder hinter Glas. Dieser volksfromme Brauch tradiert eine Epoche, in der das Aufblühen des christlichen Glaubens eine Ausdruckskraft des geistlichen Lebens der Menschen belegt.

Votivtafeln mit Anliegen- und Dankebuch links vom Eingang

Das Mittelalter kann somit als die fruchtbarste Zeit in der Geschichte der Entstehung der Votivtafeln betrachtet werden. Das Votivbrauchtum stellt offensichtlich ein öffentliches Bekenntnis des Votanten für sein Vertrauen in die Wunderkraft des Gnadenbildes, zum Wunderglauben in der Volksfrömmigkeit des Mittelalters dar. Der Mensch, der eine kritische Lebenssituation erlebt, oder in Todesgefahr gestanden hat, drückt durch einen Gegenstand öffentlich seinen Dank aus. Das gnadenhaft empfundene Geschehen deutet auf ein externes Wirken, ein Einwirken des Göttlichen, das ins Zentrum der Devotion gerückt wird. Die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zeichnet die Periode aus, in der dieses Brauchtum in den Vordergrund tritt. In den westlichen Ländern macht sich zu dieser Zeit der Brauch breit, am betreffenden Wallfahrtsort eine Votivbilderspende zu entrichten. Bittflehende «verloben» sich an einer Gnadenstätte oder wenden sich an den dort verehrten Heiligen, versprechen (geloben) bei Erhörung der Bitte den Dank öffentlich zu bezeugen. Nicht nur eine Blütezeit erlebt die neue spirituelle Erscheinung, sondern auch eine dunkle Periode kennzeichnet das Votivbrauchtum. In der Reformation erlebt die Votivdevotion ihren tiefsten Punkt. Erst ein Jahrhundert später mit der Gegenreformation setzt die gewaltige Stiftung von Votivtafeln wieder ein. Manfred Braunek ist der Auffassung, dass erst in den Jahren 1620/30 in Deutschland die Votivtafel wieder in Erscheinung trat. Hierzu soll angemerkt werden, dass die Blütezeit der Votivtafeln bis in das 17. Jahrhundert vom Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) reicht.

 

Der Beginn der Epoche der Aufklärung, in der an die Vernunft appelliert wird, leitet unweigerlich eine Wende ein. Sie zeigt eine Welt, die um die Aneignung ihres Entscheidungsvermögens und die Anerkennung ihrer Denkfreiheit ringt. Demzufolge toleriert sie kein öffentliches Bekenntnis zum Wunderglauben. Sie sucht das Verhältnis des menschlichen, denkenden Geistes, des «animal rationale» (das vernünftige Tier) zum Religiösen nicht zu dogmatisieren, sondern es klarzustellen und einzuordnen. Das Aufprallen des christlichen Bekenntnisses auf die von der Vernunft geführte intellektuelle Welt zeichnet einen Zeitgeist aus, der die Volksfrömmigkeit nicht begünstigt. Erst nach 1800 setzt noch einmal eine Entwicklung ein, die zu einer Blütezeit der Votivtafeln führt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Votivbildwesen geht auf die Zeit von der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zurück, die die Entstehung der ersten Völkerkundemuseen markiert.

Votivtafeln auf der linken Seite des Chorraums

Auch heute noch werden immer wieder Votivtafeln aufgrund der erwiesenen Güte Gottes durch die vollbrachte Wundertat gespendet. Das kostbar erflehte Gut, die wunderbare erlangte Hilfe, stellt in einer solchen Komprimierung und Prägnanz den Beweis dar, dass sich das menschliche Dasein zwischen Leiden und Hoffen, zwischen Angst und Zuversicht bewegt. Diese Erfahrung erlebten die Menschen in Beselich während der beiden Weltkriege. Die Kapelle in dieser furchtbaren Zeit war ein «Ziel vieler Menschen des Beselicher Umlandes, die der Gottesmutter ihre Bitten für das Wohl ihrer Angehörigen, die an den kriegerischen Auseinandersetzungen teilnahmen, vortrugen. Die zahlreichen Votivtafeln beweisen, dass viele Gläubige dabei Trost und Hilfe erfahren durften.» In Europa hat sich eine christliche Kultur etabliert, die es im Folgenden noch zu erwähnen gilt. Auch das Anliegen- und Danke-Buch gehört zu den beliebten Ausdrucksformen der Devotion, in die aus unterschiedlichem Anlass in heiligen Stätten hineinsigniert wird. Es sind schriftliche Zeugnisse, die die Notsituation und die Freude im Leben dokumentieren: Krankheit eines geliebten Menschen und Gebrechen des Leibes, Geburt eines Kindes, Unglück, Gewalt, etc. Wie in der Rubrik über «Wallfahrt und Marienverehrung» dargelegt haben, sucht die religiöse Volkskunst in den bildhaften Darstellungen das konkrete Leben mit dem Glauben zu verbinden: «Herr, wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir zu dienen».